Spirituosen wie Gin, Whisky oder Vodka basieren auf langen Traditionen, die von verschiedenen Kulturen sowie den Höhen und Tiefen des alltäglichen Lebens geprägt wurden. Vor allem die Historie des farblosen Gins mit der typischen Wacholdernote, der gern pur, in Cocktails oder in Longdrinks getrunken wird, liest sich wie eine Abenteuergeschichte.
Auf der Suche nach den Anfängen der Kult-Spirituose, stößt man unweigerlich auf die Destillation von medizinischen Flüssigkeiten und Duftwassern. Schließlich liegt der Grad zwischen Heil- und Genussmittel bei dem Getränk dicht beieinander. Über das dafür notwendige Wissen verfügten bereits die Menschen in der Antike, die es von Kultur zu Kultur und von Generation zu Generation weiterreichten. Erste technische Fortschritte, die es den Menschen ermöglichten, Alkohol auf die heute bekannte Weise zu brennen, gab es im frühen Mittelalter in Persien. In der bekannten Schule von Salerno wurden medizinische Forschungen mit Alkohol und Wacholder ersten Belegen zufolge bereits um 1.000 n. Chr. durchgeführt. Bis heute kennt man die Wirkung von Wacholder gegen Sodbrennen und Verdauungsprobleme. Sogar als Heilmittel gegen Rheuma und Gicht wird das Zypressen-Gewächs eingesetzt. In der frühen Neuzeit wurden Heilmittel und Genuss-Getränke erfunden, die dem heutigen Gin bereits sehr ähnelten. Als einer der Urväter des Gins gilt der Arzt Franziskus de la Boe, der den Wacholderschnaps Genever als Medizin gegen Magenbeschwerden erfand. Seine Patienten ließen sich den Schnaps gern verschreiben, jedoch nicht, um ihn als Medizin einzunehmen, sondern als Genuss-Getränk zu konsumieren. Und so entwickelte sich der Genever in den Niederlanden zu einem beliebten Wacholderschnaps.
Die Entwicklung des Gins hängt auch eng mit politisch-geschichtlichen Ereignissen zusammen. Zwischen 1568 und 1648, während des holländisch-spanischen Krieges, unterstützten die Niederländer die Engländer gegen die Spanier. Dabei kamen sie mit dem Genever in Kontakt und fanden Gefallen daran. Zu noch größerer Popularität gelangte die Spirituose im Jahr 1689, als Wilhelm I. von Oranien-Nassau den Thron Englands bestieg. Aus Genever wurde Gin. Dieser war steuerfrei und günstig zu haben, was ihn schon bald zum beliebtesten Getränk des Landes machte.
Anders als Wein und Bier handelt es sich bei Gin um eine hochprozentige Spirituose. Dieser Umstand und der damals niedrige Preis hatten zur Folge, dass vor allem die armen Gesellschaftsschichten einem wahren Gin-Wahnsinn verfielen, auch als Gin Craze bekannt. Der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stattfindenden Gin-Krise gingen eine zunehmende Gründung von Gin-Destillerien im Londoner Umfeld sowie ungeahnte Absätze voraus. Das Problem: Der damalige Gin war alkohollastiger, dafür jedoch weniger hochwertig und enthielt zum Teil sogar Terpentin. Dies hatte nicht nur Massen-Alkoholismus zur Folge, sondern auch eine höhere Kriminalität und eine gestiegene Sterberate. Die Regierung musste handeln und so kam es 1751 zum großen Umbruch in der Gin-Geschichte, dem Gin Act. Die Einführung von Schank-Lizenzen sowie Steuererhöhungen dämmten das Gin-Fieber ein. Gleichermaßen wurden Kontrollen und Qualitätsstufen angeordnet, um den Gin bekömmlicher zu machen. Nun wurde er auch für höhere Gesellschaftsschichten interessant. In der Zeit entstanden bekannte Gins wie Old Tom und London Dry Gin.
Zwischen den beiden Weltkriegen mussten Spirituosen wie Gin, Whisky und Co. große Einbußen hinnehmen, was ihre Beliebtheit anbelangte. Alkoholverbote und die Entstehung eines riesigen Schwarzmarktes begünstigten die Produktion zahlreicher gepanschter Spirituosen, die mit den ursprünglichen Getränken wenig gemein hatten. Die so entstandenen, damaligen Bathtub Gins konnten wie der einstige Massen-Gin gesundheitliche Probleme hervorrufen. In den 70er und 80er Jahren überzeugten Rum und Vodka zunächst die Konsumenten. Erst als verschiedene Gin-Destillerien in England damit begannen, neue Editionen in ihr Sortiment aufzunehmen und dem Gin ein gewisses Vintage-Image verliehen, wurden wieder mehr Menschen auf die Spirituose aufmerksam. Die neuen Kreationen reichten von traditionellen London Drys bis zu neuartigen New Western Dry Gins. Die Hersteller spielten mit den Ingredienzen und erschufen mit Geranium Gin oder den französischen G-Vines völlig neue Sorten. Auch neuartige Mix-Getränke wie Gin Tonic begeisterten die Menschen.
Für die Herstellung des Agraralkohols werden stärkehaltige Ausgangsstoffe wie Melasse oder Getreide gebrannt. Die typischen Aromen erhält der Gin aus verschiedenen Gewürzen, vor allem Wacholderbeeren und Koriander. Je nach Hersteller und Produkt finden außerdem Orangen- und Zitronenschalen, Muskat, Ingwer und Calville-Äpfel (Paradiesapfel-Kerne) Verwendung. Rund 120 Zutaten werden insgesamt als Wirkstoffe und Aromen bei der Gin-Herstellung eingesetzt. Die Aromatisierung erfolgt während der Destillation. Um die Aromen zuzuführen, werden entweder die Gewürze unter die Kornmaische gegeben und mit destilliert (Mazeration) oder man leitet Alkoholdämpfe über die Gewürze, sodass die Aromen aufgenommen werden. Gin muss in der EU und der Schweiz einen Mindestalkoholgehalt von 37,5 Volumenprozent aufweisen.
Genever
Die einstige Urform des Gins wird noch heute mit klassischen Botanicals wie Wacholder, Ingwer, Koriander sowie Angelikawurzel gebrannt.
London Gin, London Dry Gin
Die London Gins sind weltweit die beliebtesten und bekanntesten Gin-Sorten und dürfen in verschiedenen Ländern produziert werden. Jedoch muss bei der Produktion ein bestimmtes Reinheitsgebot eingehalten werden. Sie bestehen aus Agraralkohol. Während des zweiten Destillationsvorganges erhalten sie ihre Aromen. Nachträglich darf nichts hinzugefügt werden. London Gins enthalten maximal 0,1 Gramm Zucker. Den Dry-Varianten dürfen gar keine süßenden Elemente zugefügt werden. Sie zeichnen sich durch eine starke Wacholder-/Koriandernote und leicht bittere Aromen wie Orangen- und Zitronenschalen sowie Angelikawurzel aus.
Dry Gin
Dry Gins ähneln den London Gins durch eine zweifache Destillation und die Wacholder-Grundnote. Allerdings dürfen hier Aromastoffe, Botanicals sowie auch Farbstoffe zu jeder Zeit und auch einzeln hinzugefügt werden.
Old Tom Gin
Diese Sorte ähnelt geschmacklich dem etwas süßlicheren Gin, der im 18. Jahrhundert getrunken wurde. Der Name Old Tom stammt vermutlich von einer Katzen-Statue, die in der Zeit der Gin-Epidemie an verschiedenen Pubs befestigt wurde. Wer trotz des Alkohol-Verbots Gin trank, musste etwas Geld in das Katzenmaul legen und bekam dann ein kleines Glas.
Plymouth Gin
Die Geschmacksrichtung dieses Gins unterscheidet sich stark von den übrigen englischen Gin-Arten. Der süßliche Geschmack erinnert eher an den Old Tom Gin als an die bitteren Botanicals der klassischen London Dry Gins. Plymouth Gin gilt als offizielle Spirituose der britischen Royal Navy.
Neuartige Gins
Bei den neuen Gin-Sorten handelt es sich um innovative Kreationen, bei denen die Wacholdernote nicht mehr im Vordergrund steht. Stattdessen wird auf andere Botanicals zurückgegriffen, zum Beispiel Preiselbeeren, Trauben sowie bislang unübliche Malz- und Hopfen-Noten. Des Weiteren sind zunehmend sogenannte Navy Strength Gins erhältlich, die einen Mindestalkoholgehalt von 57 Volumenprozent aufweisen müssen.
Sloe Gin
Bei Schlehen-Gin handelt es sich nicht um echten Gin, sondern um einen auf Gin basierenden Likör, der mit Schlehenbeeren aromatisiert wird.
Die Spirituose Gin eroberte im Laufe der Zeit immer mehr Länder und prägte deren Trinkkultur auf ganz unterschiedliche Weise. Die Wahl der Grundzutaten und der Botanicals (Gewürze zum Verfeinern) beeinflusst den Gin-Geschmack stark. Umso spannender ist es, einen genaueren Blick auf die ländertypischen Traditionen zu werfen.
Die Niederlande führen die Liste der bekanntesten Gin-Länder an. Schließlich entstand der Genever in diesem Land - der ursprüngliche Gin. Bis heute verkaufen die holländischen Destillerien Gin und Genever (auch Jenever).
Nachdem sich die Engländer den Gin bei den Holländern quasi abgeschaut hatten, begann in dem Land die bereits erwähnte, beispiellose Karriere des Getränks.In Großbritannien haben sowohl der London Dry Gin und der Sloe Gin als auch die Plymouth Gins ihre Wurzeln. Große Bar-Stars sind zudem der Tanqueray, Bombay Sapphire oder The London Gin. Die Engländer lieben ihren Gin pur oder gemixt mit Tonic. Da ist es kaum verwunderlich, dass zahlreiche schottische Whisky-Destillerien, wie die Islay-Destillerie Bruichladdich, neben Single-Malts auch Gins brennen, die als Basis sogar gemälzte schottische Gerste enthalten.
In deutschen Schlehen-Likören und Obstbränden spielte Wacholderbrand schon immer eine große Rolle. Als die Popularität des Gins zunahm, begannen auch die Deutschen damit, in die Produktion einzusteigen. Neben erfahrenen Virtuosen sprangen auch viele private Destillerien auf den Zug auf. Jede Destillerie versucht, ein Stück Heimat in ihre Produkte einzubeziehen und verwendet überwiegend regionale Zutaten.
Die amerikanischen Gins zeichnen sich häufig durch den intensiven New Western Style aus. Es gibt sowohl Abfüllungen auf Pflanzen- und Kräuterbasis, zum Beispiel Terroir Gin, als auch auf Roggen-Basis, wie es bei dem Rye Gin der Fall ist. Gins aus den USA haben eine Gemeinsamkeit: die Wacholder-Präsenz ist weniger groß als in Gin-Sorten aus anderen Ländern. Die Wacholder-Note ist stark zurückgenommen und macht Platz für andere florale Botanicals wie etwa Zitrusfrüchte, Lavendel oder Kamillenblüten. American Gins eignen sich gut für die Herstellung von Longdrinks und Cocktails.
Spanien ist als eine der größten Gin-Nationen für seine innovativen, exotischen Gins mit Zutaten wie Pitaya (Drachenfrucht), Kumquats oder Ingwer bekannt. Außergewöhnlich sind auch die bunten Flaschen-Designs und -Formen. Ob Botanic London Dry Gin, Sikkim Gin oder Tann's Gin - die spanischen Spirituosen sind so bunt und fröhlich wie die Menschen, die in diesem Land leben. Doch auch die Spanier greifen gern einmal auf die klassischen Varianten zurück, genießen Martinis sowie Gin und Tonic klassisch mit Zitrone und Eiswürfeln.